Tanja Kirillus
"Einstieg in die Katakomben": Skulpturen von Gerd Reutter
im Wasserturm
Maßgeschneidert
Wenn alljährlich zur Langen Nacht der Museen der Wasserturm seine
Pforten öffnet, stehen die Menschen wenn es sein muss zwei Stunden
lang an, um das Wahrzeichen Mannheims von innen zu sehen, so außergewöhnlich
ist das Ereignis. Kaum jemand weiß, dass das Jugendstil-Juwel
außerdem noch einen Gewölbekeller besitzt, der nicht minder
atmosphärisch ist. So atmosphärisch, dass der Mannheimer Künstler
Gerd Reutter zwei Jahre lang die MVV bearbeitet hat, um dort seine Skulpturen
auszustellen, die er diesem besonderen Ort auf den Leib geschneidert
hat.
Und so reckt sich gleich seine erste Skulptur ebenso schmal und hoch
empor wie das Gewölbe, in dem die auf einem Stahlsockel geschichteten,
einzelnen Tonquader eingepasst sind. Weil die Gewölbebögen
sich wie Kammern aneinander reihen, hat Gerd Reutter seinen Werken ausnahmsweise
keine Titel verliehen, sondern von Kammer I bis XIII durchgezählt.
Es sind die größten Arbeiten, die der 75-Jährige bisher
geformt hat. Er setzt seine groben, oft roh belassenen Skulpturen immer
aus mehreren Stücken zusammen - auch weil der Brennofen nur eine
bestimmte Größe erlaubt.
Hoch oben in "Kammer II" hängt schwer eine Eisenstange
quer, an der aufsteigend drei weiße Tonschalen baumeln. Türkisblaue
Farbe tropft wie Wasser von der oberen Schale hinunter bis auf den Sockel.
Erstmals hat der Spätberufene - er kam erst als 60-jähriger
Pensionär zur Kunst -, hier mit Glasur gearbeitet, für die
er sonst "nichts übrig hat".
Seine Arbeiten besitzen eine sehr körperliche Präsenz. Gerne
würde man über diese rauen Oberflächen streichen. In
"Kammer III" ruht eine schwarze Tonkugel in der Mitte eines
weißen Kreises, der mosaikartig aus vielen Einzelstücken
zusammengesetzt ist, und erinnert an Arbeiten von Mario Merz. Wie überhaupt
Reutters Werke der Arte Povera verpflichtet scheinen. Jedoch der Schein
trügt: Der einstige Lebensmittelhändler sucht seine Inspiration
nicht in der Kunst. Gerd Reutter geht vielmehr vom Material aus, lässt
sich von der Natur inspirieren, beispielsweise von einem Besuch in einer
Tropfsteinhöhle ("Kammer XIII"). Seine Aussagen sind
meist schnörkellos, wie in "Kammer VI": Eine Wasserkanne
steht in einem Käfig - "die Ressource Wasser wird knapp",
erklärt der Künstler.
Mit Stolz erzählt Gerd Reutter, dass seine Arbeiten seit kurzem
in der Internetgalerie der Gebrüder Saatchi zu sehen sind. Er ärgert
sich nur, dass er bei seinem letzten London-Besuch allerhand Kunstmuseen
und Galerien mit seiner Frau besucht hat, nur eben jene Saatchi Galery
nicht, von deren virtueller Ausgabe seiner Arbeiten aus den Katakomben
des Wasserturms nun ein Teil sind. Die Originale sind ab dem 10. März
in Mannheim zu besichtigen.
Tanja Kirillus
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