MEIER im April 2002
7 Fragen an Gerd Reutter

Gerd Reutter, 70, kam erst spät zur Kunst. So, als hätte er nie zuvor etwas Anderes gemacht, fing er vor gut zehn Jah-
ren an, Ton zu modellieren. Um Ismen, Vorbilder, Märkte und Namen scherte sich das Mannheimer Urgestein von An-
fang an nicht. Mit der Selbstverständlichkeit eines Kind gelingen dem dreifachen Vater und Grovater unglaubliche
Formen, die nie ein Mensch zuvor gesehen, wohl aber gedacht hat.

MEIER: Wenn Sie gewusst hätten, dass Sie so erfolgreich sein werden, hätten Sie dann früher angefangen mit der Kunst?

Reutter: Es war gut so wie es war. Wissen Sie, nach dem Krieg habe ich Mutters Küche gebeizt, da hat sie gesagt, ich
sei handwerklich begabt, also habe ich Maler gelernt. Später bin ich dann ber die Heirat zum .Lebensmittelgeschäft ge-
kommen. Mein Bruder ist nach der Gefangenschaft direkt Künstler geworden. Er hat aber auch zuerst Schreiner gelernt.
(Der Maler und Grafiker Paul Reutter ist vier Jahre älter und stellt zusammen mit seinem Bruder aus, Anm. d. Red.)

MEIER: Hatten Sie außer über Ihren Bruder bis 1991 nichts mit Kunst zu tun?

Erst Lebensmittelhändler, dann Künstler
gen und haben versucht trotz des Geschäftes und der drei Kinder einmal im Monat ins Theater zu gehen. Ich habe aber
bis 1991 nie ans Kunstmachen gedacht, sondern habe erst mal einen Computerkurs gemacht. An der Volkshochschule
habe ich dann "Nicht-figürliche Keramik für Anfänger und Fortgeschrittene" gelesen. Das war's spontan. Mein Lehrer
war Klaus Lehmann.

MEIER: Wie kommen die skurrilen Formen in Ihre solide Biografie?

Reutter: Die Formen entstehen einfach so in der Hand, ... ich weißes nicht, . ich fang einfach an. Im Kopf ist schon
vorher was da, das wird aber nie so wie ich es mir ausgedacht habe, inzwischen denke ich mehr nach, bevor ich ar-
beite. Im Kurs hat der Lehmann nie was zu mir gesagt. Er hat mir nur technische Tipps gegeben. 1994 bin ich dann zu
meiner ersten Ausstellung mit Katalog gekommen, im historischen Gewölbekeller B 4, 2-3. Das war der Anfang.

MEIER: Keramik wird ja oft als Hausfrauen-Selbstverwirklichungskunst gesehen.

Reutter: Ich rede nicht von Keramik, sondern von Ton und Skulptur. Ich achte zunächst darauf, dass man von allen Sei-
ten draufgucken kann.

MEIER: Woher kommt ihre Begabung, haben Sie mehr Zeit im Sandkasten verbracht als andere Kinder?

Reutter: Nein, und Lego gab's ja auch noch nicht. Ich habe aber im Zeichnen immer eine Eins gehabt, auch in der
Gesellenprüfung als Maler, aber das hatte mit Kunst überhaupt nichts zu tun.

MEIER: Wie kommt es zu den Titeln wie "tiefgreifend","einäugig", "hirnlos", "eingepfercht", "Halbzeit", "Moderne
Zeiten"?

Reutter: Die entstehen sporadisch, die Skulpturen machen nicht selten Begriffe anschaulich. Ich orientiere mich nicht
an Vorbildern, habe erst vorhin zum Beispiel wieder ein Buch über Henry Moore in den Händen gehabt, das gefällt
mir, das ist schon sehr gut, ... aber als Vorbild ...l?

MEIER; Sie sind am 14. Juli geboren. Haben Sie irgendwas von der revolutionären Bedeutung dieses Datums?

Reutter: (Lacht) Ich weiß es nicht, eigentlich nicht, ich war aber 1989 zur Feier in Paris, eine schöne Feier ...! Ich
war übrigens schon in den 50ern mit meinem Bruder in Paris, und habe ihm damals schon mit 22 gesagt: "Bloß abma-
len ist zu wenig!" Damals hab' ich aber noch nicht daran gedacht, dass ich mal selbst Kunst machen würde.

INTERVIEW: ERIK SCHMID. FOTO: TOBIAS KOECK