KATALOG Gerd Reutter
Skulpturen zur 400 Jahr-Feier

Wasser
Erdchroniken, Januar 2007

Bevor wir den Mars verließen, gab es dort Wasser in Hülle und Fülle. Wir bewohnten fruchtbare Kulturlandschaften. Nord- und Südhalbkugel, die Äquatorregionen bedeckten dichte Regenwälder. Aus dem All bot sich unseren Astronauten das Bild eines grünen Planeten.
Wir missachteten die Anzeichen des Klimawandels - das Ausbleiben der ersten Winterfröste, des Vogelzugs. Wir rodeten die Regenwälder, verheizten die fossilen Brennstoffe, trieben wider besseres Wissen Raubbau. Die Erwärmung des Planeten war unumkehrbar. Einst fruchtbare Landschaften versteppten, die Wüsten dehnten sich aus und überzogen den Planeten. Aus dem grünen wurde der Rote Planet.
Nur wenige konnten den Mars in Raumschiffen verlassen und sich auf den Nachbarplaneten Erde retten.
Wir studierten die Natur unserer neuen Heimat und erkannten: Wasser tritt in Quellen zutage, Wolken, Meere und Gletschereis speichern das kostbare Nass, Flüsse leiten und verteilen es. Gleiches gilt für die belebte Natur: Wurzeln gewinnen das für Pflanzen notwendige Wasser. Saftpflanzen bilden gar fleischig-saftige Gewebe aus, um Wasser zu speichern. Die Grundeinheit des Lebens, die Zelle, besteht weitgehend aus Wasser. Gefäßsysteme leiten in Pflanzen und Tieren die Flüssigkeit.

Zu unserer Überraschung erwies sich der vermeintlich wasserreiche Blaue Planet trockener als der Mars. In vielen Gebieten mangelte es an Trinkwasser: Es musste gewonnen, gespeichert, transportiert, verwaltet und aufbereitet werden.

Gab es keine natürlichen Quellen oder Gewässer, bohrten wir Brunnen und zapften Grund- und Tiefenwasser. In Persien führten wir Grund- und Sickerwasser durch kilometerlange, unterirdische Stollen an die Oberfläche. Auf Malta fingen wir den spärlichen Winterregen in Zisternen auf.
Zur Aufbewahrung des gewonnenen Wassers ersannen wir unterschiedliche Mittel: Wir töpferten Schalen und Krüge, küferten Bottiche und Fässer, bauten Zisternen und Wassertanks, höhlten Kavernen aus. Wir errichteten Dämme und schufen Stauseen.

Das so zurückgehaltene Wasser transportierten und verteilten wir durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme: In Ägypten überwanden wir mit Schöpfgeräten Höhenunterschiede. Über Aquädukte leiteten wir Wasser aus den Bergen in die Städte. Levadas auf Madeira leiteten das kostbare Nass von der steilen, landwirtschaftlich nicht nutzbaren, aber regenreichen Nordseite in schmalen Kanälen und Tunneln auf die weniger steile, terrassierte Südseite, wo wir Gemüse, Südfrüchte und Zuckerrohr anbauten.

Es entstanden Wasserrechte: Levadeiros, Wasserbeamte wachten darüber, wer, wann, wo und wie lange die Schleusen der Kanäle öffnete, um seine Felder zu bewässern. Allmählich ging das Allgemeingut Wasser in Privateigentum über. Landbesitzer verfügten über die Quellen, Wasserläufe und Seen auf ihrem Grund. Wasser wurde zur Ware. Seine Verteilung regelte nun der Preis.

Der Anteil des als Trinkwasser benötigten Wassers ging zurück. In immer größeren Mengen benötigten wir Wasser als Brauchwasser in Haushalt, Industrie und Landwirtschaft. Das Lebenselixier Wasser verwandelte sich in ein Gebrauchsgut, wir entwerteten es. Einen Teil des verschmutzten Wassers nutzte die Landwirtschaft, ein Teil wurde aufbereitet, den Rest leiten wir in die Flüsse

Einzig die Religionen widersetzen sich dieser Entwertung. Wasser blieb Bestandteil ihrer Riten: Juden und Muslime vollziehen rituelle Waschungen, Christen die Taufe, Hindus baden im Ganges.

Allmählich vergaßen wir unsere Vergangenheit. In der Antike holzten wir die Wälder rund um das Mittelmeer ab, im Mittelalter fielen große Teile der Wälder Mitteleuropas dem Ackerbau zum Opfer, im vergangenen Jahrhundert begannen wir mit der Vernichtung der Regenwälder. Wir vergifteten unsere Gewässer. Reiseveranstalter lockten mit dem Versprechen, uns die Aufenthaltskosten für jeden Regentag zu erstatten. Gleichzeitig forderten wir Trink- und Brauchwasser für Dusche und Swimmingpool.

Indessen wurde sauberes Wasser für alle immer seltener und kostbarer. Wassermangel avancierte zur Todesursache Nummer eins.

Während ich dies schreibe, ist es erneut fünf vor zwölf. Der Blaue Planet steht vor dem Kollaps. Wir entfalten die Sonnensegel unserer Raumschiffe und packen, ohne zu wissen, wohin die Reise führt.
© Dr. Werner Kany