Katalog Gerd
Reutter Zu den Arbeiten von Gerd Reutter |
Vor genau 3 Jahren und 8 Monaten - also im September 1994 - hatte Gerd REUTTER in diesem historischen Gewölbekeller seine 1. Einzel-Ausstellung überhaupt - meine sehr verehrten Damen und Herren -, 1996 folgte hier unten eine weitere Einzelpräsentation und - heute beginnend - nun schon die dritte: Gerd, ich schlage vor, wir okkupieren den Keller mit einer ständigen Sammlung REUTTER! Einige historische Anmerkungen zu diesem Keller unter dem Quadrat B 4, 2-3, der wie eine Krypta konzipiert ist, deren Pfeiler ein Gratgewölbe nach Art eines Kreuzrippengewölbes überspannt. Dieser gewaltige Raum ist die Substruktion eines Palais., das 1730 von der Familie Dalberg erbaut wurde, die später nach N 3 umsiedelte - in das heute noch nach ihr benannte Dalberg-Haus. 1769 erwarb die Immobilie B 4, 2-3 der Freiherr von Venningen, 1790 Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken und 1808 das Bankhaus Schmalz. Die rund zehnjährige aktive Ära der kurfürstlichen Familie in diesem Gebäude gab ihm seinen bis heute tradierten Namen: .Zweibrücken-Palais.. Und spannend ist die Geschichte dieser Familie sowieso: Max - korrekt: Maximilian - Joseph ist der Neffe des berühmten Karl Theodor, der 1788 durch die Unterbrechung der Linie der Wittelsbacher an den Münchner Hof berufen wurde. Als er 1799 kinderlos starb, wurde eben dieser Neffe als Kurfürst Maximilian IV. Joseph sein Nachfolger. Und der ist dann 1806 von Napoleons Gnaden als Maximilian I. Joseph zum König von Bayern inthronisiert worden. Besagter Max Joseph - geboren am 27. Mai 1756 in Mannheim - war es, der 1790 in das Palais über diesem Gewölbekeller einzog. Sein Sohn ist der später berühmte König Ludwig I. von Bayern, der als damals Vierjähriger hierherkam. Es ist also sicher zutreffend, wenn Susanne Räuchle 1994 im MANNHEIMER MORGEN schreibt -Zitat-: .König Ludwig von Bayern verbrachte seine Kindheit in dem Quadrat B 4, 2-3, hat vielleicht sogar in dem Keller .Versteckerles. gespielt.. [ZITAT-ENDE.] Ludwig I. - meine Damen und Herren - sollte zu einem der größten Kunstförderer des 19. Jahrhunderts werden . er hat unter anderem die Alte und die Neue Pinakothek sowie die Glyptothek in München gegründet . und hätte mit Sicherheit seine helle Freude über die heutige kulturelle Nutzung .seines. Kellers. Vielleicht sollte ich noch anmerken, daß unsere Nachbarstadt LUDWIGS-Hafen ihren Namen eben diesem Ludwig verdankt.
Doch nun zum Künstler: Gerd Reutter, 1931 in Rastatt geboren, ist - wie ich das in meiner Eröffnungsrede 1994 formulierte - ein SPÄTBERUFENER. Seit 1991, also mit Beginn seines 60. Lebensjahres, gestaltet er Skulpturen in Ton. Präziser noch: Die aus Neugierde begonnene Teilnahme an einem Kurs des bekannten Ton- plastikers Klaus Lehmann -[evtl. HINWEIS!]- im Mannheimer Stadtteil Neckarau seit Anfang September 1991 zum Thema .Nichtfigürliche Keramik. löste die Begei- sterung zu eigener künstlerischer Gestaltung aus, wobei - ungewöhnlich genug - die Phantasie Reutters insbesondere vom Begriff des .Nichtfigürlichen. beflügelt wurde. Seit 1994 folgen Einzelausstellungen - u.a. hier im Keller, aber auch in der CEK-Galerie in Karlsruhe - sowie Gruppenausstellungen, u.a. im Rahmen von .Passagen ART. in Mannheim und Heidelberg, ferner als Teilnahme am Kulturfestival .Quattrologe. 1995 und 1997 im russischen Sotschi am Schwarzen Meer. Seit Dezember 1997 arbeitet REUTTER in einer neuen Werkstatt, der ein Ausstellungsraum angeschlosssen ist . und zwar in der Kleinfeldstraße 50, gehen sie mal hin!! Um es programmatisch vorwegzunehmen: Seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit verwirklicht Gerd Reutter auf subtile Weise seine Vorstellungen von Vitalität und Raum durch die Kombination vegetabiler - d.h. weicher - und insbesondere konstruktiver - d.h. harter - Formelemente in eindrucksvollen, oft an Architekturen erinnernden Tongebilden. Seit 1996 - dem Jahr, mit dem die Ausstellung hier im Keller einsetzt - bereichert REUTTER sein Formenrepertoire um anthropomorphe Elemente, wie etwa vertikal angeordnete Wirbelstränge. Und diese Kombination konstruktiver, vegetabiler und anthropomorpher Formelemente sowie der Dialog zwischen ihnen bewirkt einen erheblichen Teil der Gestaltungslust REUTTERS. Hinzu kommt eine für den Betrachter spürbare zusätzliche Dialektik zwischen dem Innen- und dem Außenraum, die seine Skulpturen spannend machen. Der weiteren Betrachtung seines Werkes vorausschicken möchte ich Hinweise auf den technischen Prozeß der Entstehung der Tonskulpturen, so, wie er für Gerd Reutter von Belang ist. Er bevorzugt Tonerde von körniger Grundsubstanz, weil sich daraus von vornherein interessante Eigenstrukturen der Oberfläche ergeben. Gelegentlich werden diese materialbedingten Strukturen durch solche des Arbeitsprozesses .zufällig. bereichert: Beim Abtrocknen des Tons können Schwundrisse auftreten, die Reutter souverän in seine künstlerische Konzeption integriert. Der Ton liegt in den Grundfarben Rot, Gelb und Grau vor, was jedoch nur bedingt aussagefähig ist, da Reutter die meisten seiner Arbeiten farbig faßt. Sehr viel interessanter ist, daß der Künstler seine Skulpturen richtiggehend baut. Er setzt sie aus flachen oder gerollten Elementen zusammen, verfugt flache Elemente durch Zahnschnitt - wie bei Holzarbeiten gängig -, stützt die entstehenden Hohlkörper durch eingezogene Tonplatten ab und füllt bzw. glättet die Fugen mit Schlicker, das ist breiig angerührter Ton. Nach Fertigstellung der Skulptur trocknet sie etwa eine Woche und wird dann bei 900º C gebrannt. Anschließend wird eine erste farbige Fassung mit flüssigem Ton - genannt Engobe - angelegt und bei 1.200º gebrannt. Danach wird das Produkt überprüft und für gut befunden oder noch einmal - z.B. bei Farbkorrekturen - mit Engobe überarbeitet und wiederum gebrannt. Im Gegensatz zur Praxis, die eigenen Kunstobjekte nicht zu benennen oder lediglich mit Bezeichnungen zu belegen, die eine Identifizierung erleichtern, wählt Gerd Reutter seit 1992 . 1991 noch waren seine Arbeiten .ohne Titel. . in der Tat Be-nennungen, die auf assoziativer Ebene ansprechen: Sie entstehen - dem nüchternen, aber durchaus humorvollen Temperament ihres Herstellers gemäß - nach Abschluß des Werkprozesses, inspiriert durch ihr tatsächliches Erscheinungsbild. Und dieses Erscheinungsbild hat es in sich! Gerd Reutter operiert souverän mit seinen flachen und gerollten Elementen aus Ton, er setzt sie zu außerordentlich phantasievollen, manchmal sogar phantastisch anmutenden Konstruktionen zusammen, die eines verbindet: ihre strenge, gelegentlich fast spröde Tektonik. Dabei reicht die Bandbreite von ganz offenen zu hermetisch geschlossenen Formen, von geradezu auseinanderfallenden, nach außen orientierten Raumfragmenten zu extrem abgekapselten, komplexen Innenräumen. Und allen gemein ist ihre Vitalität, die vom Konstruktiven bis zum Destruktiven reicht, die zusammenfügt und zerlegt. An einigen wenigen Beispielen möge das Dargelegte verdeutlicht werden: In der geradezu klassischen Arbeit .EINSTIEG / AUSSTIEG. von 1997 [-HIN-WEIS-] wird hinter einem aus drei mächtigen zylindrischen Säulen gebildeten Tor der Blick auf eine emporsteigende Treppe freigegeben, die auf der linken Seite von einer Art Wall, auf der rechten eher von einer kleinen Stützmauer gefaßt ist. Optisch geht man geradezu auf ein monumentales Kultensemble wie Stonehenge zu, aber dann kommt der Bruch. Dieses Objekt hat eine Höhe von 32 Zentimetern und ist zudem von oben offen. Man kann es sozusagen domestizieren, ganz kühl optisch abgreifen, von .oben. betrachten, und dann kann man - rein virtuell - auch von oben einsteigen und die Treppe herabschreiten. Die Ambivalenz zwischen imposanter Monumentalität und vertrauter Dimensionalität beherrscht Reutter wie kaum ein zweiter Plastiker, der mit architektonischen Metaphern arbeitet.
Soviel zu den Formen. Gerd Reutter reichen - meine sehr verehrten Damen und Herren - wenig spektakuläre Farben, um seine Arbeiten zu fassen, es sind vor allem WEISS, SCHWARZ, ROT und GELB. Gemäß des um 490 vor Chr. geborenen griechischen Philosophen EMPEDOKLES entsprächen sie exakt den .Wurzeln aller Dinge., also den 4 Elementen: WEISS für LUFT, SCHWARZ für ERDE, ROT für FEUER und GELB für WASSER. Das mag weit hergeholt klingen, aber die instinktive Wahl .antiker. Farben in be- stimmten Kunstbereichen belegt die Kongruenz künstlerischer Ideen und Werkprozesse über große Zeiträume. Reutter - das sei resümierend konstatiert - ehrt dieses nur vordergründig leicht verfügbare, scheinbar beliebig formbare Material Ton, indem er die ihm immanenten Eigenschaften durch seine eigenwillige künstlerische Energie und durch seine Menschlichkeit sichtbar macht, die Summe also so unterschiedlicher Anlagen wie weich und hart, aggressiv und einladend, geschlossen und offen. Werner Marx bringt es im Katalog zu dieser Ausstellung auf den Punkt, wenn er sagt -ZITAT-: .Diese Skulpturen sind von großem Reichtum . als Formulierungen plastischer Anliegen zwischen Form und Farbe, zwischen raumgreifender und raumverdrängender Präsenz, zwischen spröder, profaner und kostbarer Materialbeschaffenheit, zwischen sakraler Entrücktheit und taktilem Oberflächenreiz, aber auch als narrativ eloquente Werke, die von der Verbindlichkeit vergangener Kulturen sprechen. (Schlußworte.) // 16.5.1998 Kj. Bildbeschreibung Katalog 1996 - 1998 Dr. Jochen Kronjäger Kunsthalle Mannheim EINSTIEG/AUSSTIEG (Link zu Portlolio 1994-1997) Hinter einem aus drei mächtigen zylindrischen Säulen gebildeten Tor wird der Blick auf eine emporsteigende Treppe freigegeben, die auf der linken Seite von einer Art Wall, auf der rechten eher von einer kleinen Stützmauer gefaßt ist. Optisch geht man geradezu auf ein monumentales Kultensemble wie Stonehenge zu, aber dann kommt der Bruch: Diese Objekt hat eine Höhe von 32 Zentimetern und ist zudem von oben offen. Man kann es sozusagen domestizieren, ganz kühl optisch abgreifen, von oben betrachten, und dann kann man - rein virtuell - auch von oben einsteigen und die Treppe herabschreiten. Die Ambivalenz zwischen imposanter Monumentalität und vertrauter Dimensionalität beherrscht Reutter wie kaum ein zweiter Plastiker, der mit architektonischen Metaphern arbeitet. JK Bildbeschreibung Katalog 1996 Dr. Jochen Kronjäger Kunsthalle
Mannheim Bau-Stein Ein
schmaler, hochoblonger Raum wird umstellt von einem Pfeiler, einem Stück
Wand, einer Säule, einer schmalen Platte und einem Bogen. Die einzelnen
Elemente sind unterschiedlich hoch, die weit aufragende Säule und der
Pfeiler tragen ein kleines Dach, über das - in Fortführung des Pfeilers
- eine flache, im Profil gezeigte Kopfform hinauskragt. Die Plastik
ist ein Agglomerat von - in der jeweiligen Grundform - runden, quadratischen,
flachen und gebogenen Bauelementen, wie wir sie aus den Baukästen unserer
Jugendzeit kennen. Gerd Reutter geht noch einen Schritt weiter; Mit
der dieses Konstrukt dominierenden anthropomorphen Kopfform verweist
er indirekt auch auf Bausteine des Lebens. JK Katalog 1996 - 1998 Bildbeschreibung Dr:Thomas Köllhofer Kunsthalle Mannheim 1996 LEERE HÜLLE
Es erstaunt, daß zahlreiche Schöpfungsmythen mit der Formung des Menschen aus Ton beginnen. Kaum ein Material ist so formbar und in der Vielfältigkeit seiner Bildsprache so frei wie der Ton.Weich und hart, rauh und glatt, porös und dicht; das Material paßt sich den Händen des Künstlers an. Bei „LEERE HÜLLE" bläht sich das massive Material zu einem Volumen füllenden Körper, der auf einer Seite aufbrechend, dem Blick sein Inneres preisgibt. Außen krustig verhärtet mit trocken rauhen Spuren der Einwirkungen,-zeigt sich das Innere dagegen in zartem Ton mit weichen Dellen. Die Farbigkeit und die vielfältige Oberflächenstruktur lassen ein nuancenreiches Lichtspiel entstehen, das derart das Volumen des Körpers plastisch erleben läßt. Thomas Köllhofer Kunsthalle Mannheim
1997 UNENDLICH (Link Portfolio 1994-1997) Aus einer zähen, undefinierbaren Masse, die den Boden einer Schale füllt, ragt ein Gebilde aus schachtelförmig ineinandergefügten Rohrsegmenten, die sich verjüngen und unweigerlich an ein Fernrohr erinnern. Doch hier streckt sich dem Betrachter die weite Öffnung des Rohres entgegen. Das Objekt erwidert den Blick, denn der Betrachter kann nicht in das schmale Ende des Rohres schauen. Und folgt er seiner Betrachtung in die Tiefe des Rohres, so blickt er nicht in den Mikrokosmos jener unergründlichen Masse, denn das Ende des Rohres hat die Schlacke und auch die diese hinterfangende Schale durchbrochen. Am Ende des Blicktunnels erscheint ein kleiner Lichtschimmer. So ist es hier, wie bei der späteren Arbeit „BODENLOS", eher der Blick aus dem Mikrokosmos eines Gefäßes in die Welt außerhalb, von der wir jedoch kaum mehr als einen Lichtschimmer erahnen. Thomas Köllhofer Kunsthalle Mannheim |