Gerd Reutter  
 

Mit seinen keramischen Plastiken steht Gerd Reutter in einer künstlerischen Tradition, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde Ton von den Bildhauern vorwiegend als Material zur Herstellung kleiner Modelle benutzt. Auguste Rodin z. B. schuf seine Skulpturen in der Regel als kleine Tonmodelle, die dann von Mitarbeitern vergrößert und in den gewünschten Materialien ausgeführt wurden. Erst im 20. Jahrhundert gewann Ton als gleichwertiges Material neben den überkommenen traditionellen Werkstoffen an Bedeutung. Im 20. Jahrhundert hat sich die Arbeitsweise der Bildhauer verändert. Die Künstler beschränkten sich nicht mehr nur auf die Herstellung von Tonmodellen, sondern führten ihre Werke nun in der Originalgröße eigenhändig aus. Die Faszination, die der Ton auf die Künstler ausübte, rührt wohl daher, dass er der Werkstoff mit den geringsten materialbedingten spezifischen Eigenschaften ist. Wegen seiner fast unbegrenzten Formbarkeit beeinträchtigt er kaum den künstlerischen Ausdruckswillen und seine formale Umsetzung. Die Frische des leicht zu formenden Materials erlaubt sowohl das Modellieren figürlicher und ungegenständlicher Formen als auch die Montage oder die serielle Reihung aus Einzelformen. Auch die Behandlung der Oberflächen eröffnet den Künstlern eine Vielzahl von Möglichkeiten. Sie reicht von der Bemalung, von der Glasur bis hin zu den unterschiedlichsten Reliefierungen. Ton ist ein Material, für das von vornherein "keinerlei Schönheit oder Ausdruck" charakteristisch ist, wie die Bildhauerin Alicia Penalba ihre Vorliebe für dieses Material begründete. Diese Eigenschaft lässt es ihrer Meinung nach für figurative, expressive oder konstruktiv-minimalistische Formen gleichermaßen geeignet erscheinen.

In Frankreich zum Beispiel hat Henri Laurens zu Beginn der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts kubistische Reliefs und Skulpturen aus gebranntem roten Ton geschaffen, die in kleinen Auflagen hergestellt wurden. In Deutschland hat Max Laeuger in der Mitte der zwanziger Jahre Werke geschaffen, in denen er Malerei und Plastik zu einer Synthese führte, um so Wirkungen zu erzielen, "wie sie weder die Plastik allein, noch die Malerei allein erreichen kann". Damit gehört er zu den Begründern der "Keramischen Kunst" wie der Titel seines 1939 erschienen Handbuchs lautet. Einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der keramischen Plastik als eigenständige Kunstform leistete auch Pablo Picasso mit seinen keramischen Arbeiten, die nach 1946 in Vallauris entstanden sind. Sie bilden einen genuinen Teil seines vielgestaltigen Werkes. Er benutzte den Werkstoff Ton, um völlig eigenständige und phantasievolle plastische Werke zu schaffen und emanzipierte damit die keramische Plastik zu einer eigenen Kunstform.

Prof. Manfred Fath, Direktor der Kunsthalle Mannheim, 1982-2002 - Katalog 2001-2003